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1973 verarbeitet der Mannheimer Künstler Peter Schnatz (1940-2004) einen historischen Raubüberfall aus dem Jahr 1811 zwischen Laudenbach und Hemsbach an der Bergstraße: Die Geschichte der Hölzerlips-Bande, deren Verbrechen mit der Hinrichtung in Heidelberg endete.

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1973 verarbeitet der Mannheimer Künstler Peter Schnatz (1940-2004) einen historischen Raubüberfall aus dem Jahr 1811 zwischen Laudenbach und Hemsbach an der Bergstraße: Die Geschichte der Hölzerlips-Bande, deren Verbrechen mit der Hinrichtung in Heidelberg endete.

Über den Mannheimer Journalisten Dieter Preuss wird er auf diese Geschichte aufmerksam.

Seine Serie umfasst zehn großformatige Acryl-Bilder, zwei Objekte und fünf Siebdrucke, die sich mit den einzelnen Stationen des Überfalls und den Männern beschäftigen.

Schnatz orientiert sich an der historischen Abläufen, greift bestimmte Aspekte heraus – Tat, Täter, Opfer, Gericht, Strafe – und setzt sie in eine klare, sachliche Bildsprache um, die auf Pathos verzichtet.

Gerade seine Distanz zu dieser historischen Geschichte lädt zur Auseinandersetzung ein.

Im Juni 1974 stellt er die Arbeiten zum ersten Mal aus - in der Galerie Bausback in N 2,7.



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„Zinken“ bedeutet Zeichen. Gaunerzinken sind das Kommunikationssystem der fahrenden Leute.

Sie werden mit Kreide an Wänden und Scheunen hinterlassen und geben Informationen zu den Dörfern, den Höfen und den Menschen.

Diese fahrenden Leute werden auch „Vaganten“ genannt. Sie haben keine Bürgerrechte, keine Ausweise, keinen festen Wohnsitz.

Sie ziehen von Ort zu Ort, sind Wanderhändler oder arbeiten als Tagelöhner





Peter Schnatz trägt einige dieser Zinken auf einem schwarzen Hintergrund mit blutrotem unterem Rand auf. Sie wirken wie moderne Piktogramme.

Aber ihre Bedeutung erzählt auch vom schwierigen Alltag der Vaganten.



Die Arbeit Treffpunkt Höllgrund ist dreigeteilt: Ein rot-grüner Maßstab bezieht sich auf die übermalte topografische Karte, die nur den Ort des Geschehens klar erkennen lässt.





Schnatz kreist die verschiedenen Orte der Nacht und der Hinrichtung ein. Und, ganz sachlich in Normschrift, bennennt er die Chronologie - vom Aufbruch der Männer im Odenwald bis zu ihrer Hinrichtung in Heidelberg.



Aufbruch 28. April 1811
Die Männer verlassen Waldbrunn am Abend mit dem Ziel, eine Kutsche zu überfallen.
Diebstahl
Unterwegs brechen sie in einen Keller ein.
Kochemebayes 29. April 1811
Am frühen Morgen rasten sie in einem Wirtshaus auf der Juhöhe. Wirt und Wirtin stehen den Männern nahe, daher der rotwelsche Begriff „Kochem Bayes“ – sicheres Haus. Dort schneiden sich die Männer auch Knüppel aus Holz.
Raubmord 1. Mai 1811
In der Nacht zum ersten Mai überfallen sie bei Laudenbach eine Kutsche, mit der die zwei Schweizer Kaufleute Rudolf Hanhardt und Jacob Rieder auf dem Rückweg von Frankfurt sind.
Hinrichtung 21. Juli 1812
Hinrichtung nach einem Jahr Gefängnis und Verhandlung in Heidelberg.









Raubüberfall wirkt wie ein Polizeibericht – knapp und nüchtern schildert die Arbeit das Ergebnis der Tatnacht.

Schnatz sachliche Sprache und Gestaltung verstärken die nüchterne Wirkung.

Der Hintergrund zeigt den dunklen Nachthimmel und die Hügel des Odenwalds, mit der eingezeichneten Höhe der Juhöhe - 374 m ü. NN





Raubwerkzeug fokussiert sich auf die Art des Überfalls.

Bei der Suche nach den Tätern finden Polizisten die blutverschmierten Prügel im Wald.

Die Beute verstauen die Männer in den Taschen der Kaufleute.

Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: Das obere Drittel ist eine gefaltete olivfarbene Leinwand, an der ein Holzstock, das Raubwerkzeug, in Ketten hängt.





Darunter klebt ein Objekt aus Leder auf der Leinwand, das an eine Tasche erinnert. Auch dieser Teil der Leinwand ist olivfarbenen. Aber hier wirkt die Farbe wie Wasserspuren auf einer Oberfläche.

Der Holzstock steht für die Knüppel, mit denen die Männer beim Überfall zuschlagen und Jochen Rieder so schwer verletzen, dass er später stirbt. Das J und R auf der Tasche steht für Jochen Rieder.







Hölzerlips und seine fünf Komplizen fliehen nach dem Überfall zurück in den Hessischen Odenwald und verstecken sich dort.





Tatort zeigt den Ort des Überfalls zwischen Hemsbach und Laudenbach an der heutigen B3. Schnatz zeichnet auf dieser Arbeit, ganz präzise, eine sogen. Flurkarte nach, die die Grund- und Flurstücke um den Tatort herum zeigen.

Oben rechts deutet eine grün eingefärbte Fläche den Odenwald an – aus dem die Männer kommen und in den sie sich wieder zurückziehen.









Ein Botenjunge, der den Überfall beobachtet hat, verständigt nach dem Überfall die Behörden.

Der großherzogliche Badische Stadtdirektor Ludwig Pfister in Heidelberg nimmt die Tat zum Anlass, eine Kampagne gegen das fahrende Volk im Odenwald zwischen Main und Neckar zu führen.





Wer war Ludwig Pfister und warum verfolgt er die "Vaganten"?

Ludwig Pfister ist (1769 – 1829) ist großherzoglicher Stadtdirektor in Heidelberg: Also zu dieser Zeit die oberste Instanz innerhalb der Stadtverwaltung und verantwortlich für die Umsetzung der Beschlüsse des Stadtrats und die Leitung aller städtischen Behörden.

In diesen Jahren sind die nicht-sesshaften und umherziehenden Menschen als "Vagantenproblem" zentrales Thema staatlicher Behörden, das aber auch von wissenschaftlichen Kreisen und in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert wird.

Pfister verfolgte sehr aufmerksam den Prozess und die Hinrichtung des Räuber Schinderhannes (1779-1803) und seiner Gefolgsleute im Februar 1803 in Mainz. Dieses Verfahren ist ein großes Vorbild für seinen Prozess gegen die Hölzerlipsbande. Er hoffte, damit auch auf der anderen Seite des Rheins ein warnendes und abschreckendes Beispiel für die „Vaganten“ zu setzen.





Eine groß angelegte überterritoriale Polizeiaktion bringt den Erfolg, und alle Gefängnisse in der Region sind mit Vaganten überfüllt.



Im Oktober 1811 beginnt der Prozess in Mannheim. Er endet im Juni 1812 mit dem Urteil „Tod durch das Schwert“ für vier der Mitglieder, die beiden anderen Beteiligten am Überfall werden begnadigt.

Das Urteil wird am 31. Juli 1812 öffentlich verkündet. Und zwar mit einem sogen. Blutgericht.

Ludwig Pfister inszeniert die Verkündung der Todesstrafe vor dem Heidelberger Rathaus vor großem Publikum.

Genau diese Inszenierung greift Blutgericht auf. Pfister legt den Patz mit schwarzem Stoff aus, daher wählt Schnatz die Farbe Schwarz als Hintergrund aus.

Vor dem Rathaus sitzt das Gericht. Die fünf roten Kreuze stehen für die fünf Personen, die dort sitzen: der Oberbürgermeister, der zweite Bürgermeister, Stadtdirektor Pfister, ein Richter aus Darmstadt und ein Arzt.

Am Ende des Platzes sitzen die „Inquisitien“ – die Häftlinge, die noch nicht verurteilt sind. Vier bewaffnete Gerichtsdiener stehen an den Ecken.





Nach dem Urteil werden die vier Verurteilten auf offenen Wagen durch die Stadt zum Richtplatz in Heidelberg-Bergheim gefahren - begleitet von Soldaten, Musik und vielen tausend Zuschauern.

Kurz nach 12 Uhr am 31.7. 1812 sterben Hölzerlips, Mannefriedrich, Krämer Matthes und Veit Krämer durch das Schwert des Heidelberger Scharfrichters Franz Wilhelm Widmann.





In Hinrichtung dominiert im Gegensatz zum Blutgericht die Farbe Rot, in verschiedenen Schattierungen.

Die starke Wirkung, die diese Arbeit beim Betrachten auslöst, entsteht aus einem Gegensatz: Der sehr geometrischen Bildaufbau mit seinen weißen Streifen am Rand steht dem gestisch, spontanen Farbauftrag im Zentrum gegenüber, der das Blut der Hingerichteten symbolisiert. Eine dünne blaue Linie zeigt den Schwung, den das Schwert des Scharfrichters nimmt.















Richtwerkzeug thematisiert die Arbeit des Scharfrichters und die Methode der Hinrichtung. Dieser hält und führt das Langschwert mit zwei Händen.

Mit einem waagerechten Schwerthieb von hinten trennt er den Kopf vom Rumpf. Es galt als Beweis seines Könnens, wenn er dies „glatt“ mit einem einzigen Schlag erreichte. Genau diesen Schlag setzt Schnatz in einer rot-weißen Linie in Szene.





Nach der Hinrichtung werden die Leichen der vier Männer an das Anatomische Institut der Universität Heidelberg übergeben.

Eines der Skelette erhält die Inventarnummer RM45402341 – jahrzehntelang wird es als das von Hölzerlips geführt. Erst 2009 zeigt eine anthropologische Untersuchung: Das Skelett stammt nicht von Hölzerlips.





Peter Schnatz beschäftigt sich sehr intensiv mit der Geschichte der Bande und besucht auch das Institut und lässt sich den Schädel von Hölzerlips zeigen.

Wieder auf dieser Arbeit zu sehen: die rot-weiße Linie, die er zwischen den weit auseinanderstehenden Halswirbeln zieht. Die Stelle, wo das Schwert des Scharfrichter treffen musste.











Die Hingerichteten ist die größte Arbeit der Serie und geht auf die Männer ein, die durch das Schwert sterben. Ihre vier Rufnamen sind in den Ecken notiert und nummeriert.

Wie bei einem Blick durch das Zielfernrohr eines Gewehres nimmt der rote Kreis die Männer ins Visier - Schnatz malt sie nach einer historischen Zeichnung.

Die Ziffern im Keis mit ihren Linien symbolisieren die sechs Männer der Bande und ihre Verbindung untereinander.

Ein breites schwarzes Kreuz löscht sie aus.



Neben den Acryl-Arbeiten entstehen 1974 noch eine Reihe von Siebdrucken, in der sich Peter Schnatz ausführlich mit allen sechs Personen der Bande und ihrer Biografie beschäftigt.





Sowie zwei Objekte, die leider nicht erhalten sind und nur auf den Fotos der Ausstellung zu sehen sind.





Dass diese Arbeiten polarisieren, als sie 1974 das erste Mal ausgestellt werden, kann man selbst heute nachvollziehen.

Peter Schnatz inszeniert hier keine etwas gruselige Räubergeschichte.

Er dokumentiert sachlich, pointiert. Fragt nach der sozialen Herkunft der Männer und ihren wirtschaftlichen Verhältnissen. Und genau diese Sachlichkeit macht mehr betroffen als jede inszenierte Parteinahme.



Rastergeometrie und Schablonenschrift werden zur Chiffre für die kalt und unbarmherzig zupackende Justiz, tachistisch-emotionale Farbspritzer stehen dem gegenüber für all das Irrationale, das, juristisch nicht fassbar, hinter dem schrecklichen Geschehen steht.

Hans Gercke, 1974

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Hölzerlips-Bande bleibt für Peter Schnatz nicht folgenlos – sie trifft ihn persönlich.

Einige Jahre nach dem Zyklus zieht er selbst in den Odenwald, wo er sich eine alte Scheune zum Atelier umbaut – nicht weit von jenen Orten, an denen sich die Bande einst versteckte.

In einem Siebdruck von 1975 wird seine Haltung besonders deutlich: Schnatz zeigt sich selbst als "Nicht-Sesshaften".

Wie die historischen Vaganten empfindet auch er sich als jemand, der am Rand der Gesellschaft steht – ohne festen Platz, außerhalb etablierter Strukturen. Diese Identifikation ist sein stilles Statement: über Kunst, soziale Herkunft und das Leben außerhalb der Norm.



Impressum

True Crime on Canvas - Peter Schnatz' Hoelzerlips Zyklus ist ein Projekt der Künstlernachlässe Mannheim

Herausgeber und Copyright: Künstlernachlässe Mannheim, 2025

Texte: Silvia Köhler

Redaktion: Sophia Denk, Silvia Köhler

Umsetzung: Sophia Denk

Realisiert mit PAGEFLOW

Bildmaterial: Künstlernachlässe Mannheim, K. Schwab

Musik: Abschiedslied Für Kathrin aus Hölzerlips der Gruppe Jenischer Schall

Künstlernachlässe Mannheim, Waldparkstr. 28A, 68163 Mannheim gesetzlich vertreten durch Silvia Köhler

Telefon: 0151 287 07 629

E-Mail: info@kuenstlernachlaesse-mannheim.de

www.kuenstlernachlaesse-mannheim.de

Verantwortlich im Sinne des Rundfunkstaatsvertrags: Silvia Köhler, Künstlernachlässe Mannheim, Waldparkstr. 28A, 68163 Mannheim