Biografisches
Peter Schnatz (1940–2004)
AusbildungBiografisches
1955 beginnt er eine Lehre als Schaufensterdekorateur, ein Kompromiss aus den schon vorhandenen künstlerischen Neigungen und dem Wunsch der Familie nach einem sicheren Beruf.
AusbildungFreie Akademie
Schnatz lebte viele Jahre im Jugendwohnheim Kolpinghaus und hatte erst ab 1965 eine eigene Wohnung in Mannheim-Neckarstadt.
1960er Jahre
1960er JahreFrühe Arbeiten
1960er JahreErste Erfolge
1970/71 folgt ein Stipendium des Landes Baden-Württemberg für die Cité internationale des arts in Paris (1970/71) mit einer Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim (1971) und einer Goldmedaille für Malerei in Toulon (1979).
1960er JahreNeo-Ikonen
In der hier gezeigten Arbeit bezieht sich Schnatz auf Kasimir Malewitsch und sein „Schwarzes Quadrat“, das Malewitsch 1915 in einer Ausstellung wie eine Ikone oben in die Raumecke hängte.
Einflüsse und die Frage, was kan Malerei?
EinflüsseFrancis Bacon
Ein Künstler, der ihn sehr beindruckt, ist Francis Bacon, der 1962 seine erste europäische Einzelausstellung in der Kunsthalle Mannheim hat. Die absolut verstörende Wirkung der Porträts von Bacon, vor allem von Papst Innozenz X. als sogen. „Schreiender Papst“, ist als Einfluss auf den jungen Künstler nicht zu unterschätzen.
EinflüsseHenry Moore
Beispielsweise scheint die scherenartige Form rechts im „Lackbild“ von 1966 der Reclining Figure (1951) entnommen, bei Moore bildete sie allerdings den Kopf.
EinflüssePop-Art
EinflüsseWas kann Malerei?
Wie lassen sich geometrische Formfestlegungen durch amorphe Farbspuren bis hin zu Farbexplosionen stören? Sprich die immer wieder stattfindende Versachlichung wird auch immer wieder untergraben.
Als ob Hilfslinien und an Fahnen erinnernde Streifenmuster die ganze Welt festhalten, ja einsperren wollten und doch immer wieder scheitern. Dazu verwendet Schnatz Mittel aus eigentlich kunstfernen Bereichen: Schablonenschrift, Quadrierungen, Raster, Streifen oder konstruktiv-geometrische Hilfslinien. (S. Kaeppele)
Hölzerlips-Zyklus und die 1970er Jahre
1970er JahreHölzerlips-Zyklus I
Auf die Geschichte wurde er aufmerksam durch den Mannheimer Journalisten Dieter Preuss, der sich u.a. mit Mundart und Volksliedern beschäftigte und das Lied wiederentdeckte, das einer der Beteiligten vor seiner Hinrichtung über den Überfall verfasste.
Eigentlich plante Schnatz nur eine Arbeit zu diesem Lied, dann entsteht aber über das gesamte Jahr 1974 dieser Zyklus.
1970er JahreHölzerlips-Zyklus II
Er gestaltete die Arbeiten in einer Mischung aus der Malerei der Pop-Art und dem Grafikdesign. Gerade die Typographie, ein wichtiges Gestaltungsmittel jener Jahre, half ihm, sich von der reinen Malerei abzulösen, der diese Künstlergeneration zutiefst misstrauisch gegenüberstand. Als schwülstig und bürgerlich verachtet, zog man die nüchterne Beschreibung der Umstände und der Geschichte ganz klar vor.
Dss folgende Video zeigt alle Arbeiten aus dem Zyklus.
Selbstvergewisserung I
Selbstvergewisserung ISelbstporträt
Peter Schnatz schreibt dazu: „Mein Selbstbildnis zeigt den Menschen ,Schnatz‘ als Maler und als Kartei-Nummer. Die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Zwängen bleibt auch dem ,freien‘ Künstler nicht erspart, er kann sie aber aufzeigen und wenigstens ästhetisch eine Lösung anstreben! ... Die Selbstanalyse wird zur Zeitdokumentation.“
Das Selbstporträt gleicht den Porträts der Männer der Hölzerlips-Bande. Schnatz sieht sich als Gefährte der Räuber.
Ein Fadenkreuz lenkt den Blick wie ein Zielfernrohr mitten in das Gesicht. Und das große, auslöschende X taucht ab jetzt sehr häufig in seinen Gemälden auf.
Selbstvergewisserung I Tageskreuze
Selbstvergewisserung I Tageskreuze
Jeder dieser durchgestrichenen Tage ist ein weiterer Tag, den er hinter sich gebracht hat, den er löschen konnte, wie ein Gefangener an seiner Zellenwand. Das tägliche Durchstreichen, berichten Freunde, wurde für Schnatz etwas Manisches, sonst galt es nicht, es war sein Versprechen an sich selbst und an eine über ihm stehende Macht, das sonst gebrochen worden wäre.
Künstlerisch erinnern die Tageskreuze an die konzeptuellen Aktionen von On Kawara, der in den 1960er und 1970er Jahren Postkarten an Eingeweihte schrieb, die entweder nur besagten „I got up“ (Ich bin aufgestanden) oder „I am still alive“ (Ich lebe noch).
Präzise mit Uhrzeit und Datum versehen, sind sie quasi eine Lebensversicherung, ein Akt, in dem sich Schnatz selbst versichert, dass er noch lebt. Auch On Kawara hatte diese magische Angewohnheit, dass die Arbeit vor 24 Uhr ausgeführt sein musste, sonst galt es nicht. Und genau darum ging es auch Peter Schnatz.
Die 1980er Jahre
1980er JahreMadonnenbilder
Sein Ausgangspunkt war das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, dessen viele Madonnenbilder aus dem 15. und 16. Jahrhundert ihn anregten, sich vor allem mit dem Kind sowie der Haut des Kindes vor farbigen Hintergründen zu beschäftigen.
Unser Beispiel stammt von Hans Memling, dessen „Mystische Hochzeit der Heiligen Katharina von Alexandrien“ (um 1470, Paris, Louvre) das Vorbild für Peter Schnatz war.
1980er JahreHungernde Kinder
Die collagierten Bleistiftzeichnungen, mit Klebeband und den Tageskreuzen versehen, haben wegen der extremen Magerkeit der Jungen und Mädchen eine existenzialistische Kraft. Der Tod scheint nah, auch die Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg und den folgenden Kämpfen um Kambodscha scheint virulent bei einem politisch interessierten und engagierten Künstler.
Selbstvergewisserung II
Selbstvergewisserung IISelbstbildnis 1983
Wieder ist die Arbeit mit grafischen Elementen versehen, aber das Wesentliche ist jetzt die Vehemenz der malerischen Geste samt dem Verweis auf die erbarmungslose Nacktheit. Der Kopf und damit der Träger aller gedanklichen Energie ist ausgelöscht durch das große Schwarz der Umgebung.
Kulturpolitisches Engagement
Kulturpolitisches EngagementBezirksverband Bildender Künstler und die Druckwerkstatt
Zusammen mit Gerd Lind setzte er sich ein für die Künstlersozialkasse, die 1983 gegründet wird; beide sind Wegbereiter für die Gründung des Bezirksverbandes Bildender Künstler (BBK) in Mannheim, der bis heute mit seinen Druckwerkstätten und Kursen in der Alten Feuerwache Mannheim vielen Künstlern ein zusätzliches finanzielles Standbein gibt.
Schnatz unterrichtete auch an der Freien Kunstschule Rhein-Neckar (heute Freie Kunstakademie Mannheim), deren Gründung er 1985 mit unterstützte.
Kulturpolitisches EngagementKunststreik
Dazu hängte er eine Fahne auf dem Balkon seines Wohnateliers in L 8 auf, zusammen mit einem Skelett, um auf die prekäre Lage der Bildenden Künstler, nicht nur in Mannheim, hinzuweisen.
Kulturpolitisches EngagementAuktion im Einkaufszentrum
Druckgrafik
DruckgrafikLithografien
Reisen
Reisen Lanzarote
Reisen Lanzarote
1974/75 besuchte er die kanarische Insel Lanzarote, die schwarze Insel, die vulkanischen Ursprungs ist.
Hier entwickelte er zum ersten Mal ausführlich sein Lebensthema, die Farbe Schwarz. Nach der Reise entstehen 1974/75 acht große Gemälde, die das konstruktive Element der letzten Jahre in den Hintergrund treten lassen.
In der Arbeit Insel von 1975 geht es nur noch um die große Farbe Schwarz, in mehrerer Varianten aufgetragen, matt, glänzend, wieder abgeschabt. Einzig die Farbe Rot ist noch geduldet, ikonografisch für den vulkanischen Ursprung zu denken.
Dem Bild scheint eine intensive Dunkelheit, ja eine fast geheimnisvolle Tragik inne zu wohnen.
Reisen Provence
Reisen Provence
1994 hält sich Schnatz in Roussillon, einem provenzalischen Dorf auf, das berühmt ist für seinen Ockerabbau. Die Farbe des Ockers bestimmt auch das Straßenbild und die Umgebung des Ortes.
Unter gleißender Sonne und blauem Himmel der Provence verzieht sich das Schwarz in Schnatz' Arbeiten und alle Farben kommen in ganzer Leuchtkraft zum Einsatz.
Er nutzt Sackleinen, um die Struktur seiner Malflächen an die Umgebung anzupassen, im Wechsel zu feinem Federleinen. Pastos trägt er die Farbe im Regenbogenschema auf, konterkariert von einem aus dem Sackleinen hängenden Kabel, das die Bewässerungsschläuche symbolisiert.
Reisen Toskana
Reisen Toskana
Im Herbst 1995 verbringt Peter Schnatz einige Tage in der Toskana und beginnt, beeindruckt von der Knorrigkeit alter Ölbäume, sie auf Papier und Leinwand zu erfassen.
Die Arbeiten auf Bütten stellen den schwarzen knorrigen Baum vor einen grüngelben Himmel, die Zweige und Blätter werden durch rasende Farbspuren angedeutet.
Peter Schnatz entwirft in Acryl auf Bütten rasche Notate und taucht dann vollständig ein in eine üppige Farbgebung; das silberne Flirren der Olivenblätter vor gelbem Himmel, die schwarze Dichte in seinen fast lebensgroßen Stämmen, verbindet der Künstler in Öl mit Sand.
Haut und Erdhaut
Haut und ErdhautHaut
Im folgenden Filmausschnitt ist gut zu sehen, wie Schnatz bei der Arbeit vorging: Auf die grundierte Leinwand trug er zunächst in kräftigen, rhythmischen Bewegungen verschiedene Farben auf, die dann nach und nach mit Schwarz überbedeckt werden. Das können Acryl, Lack, aber auch Farbspray sein. Nach und nach werden so schrundige, dreidimensional wirkende Farbanhäufungen aufgetragen, die jedoch immer wieder die zugrunde liegenden Farben verraten.
Haut und ErdhautHaut
Mit Haut ist natürlich zuerst die Tierhaut angesprochen, deren Form er ja auch anlegt. Aber dann wird durch den gestischen Farbauftrag, den sichtbaren Malvorgang, die Strukturhaftigkeit der Oberfläche das ursprüngliche Thema verlassen, der Verlust des Gegenstandes wird als Verlust des Ichs gefeiert.
Die hervorlugenden roten Farbspuren tun ihren Teil dazu, dass Blut und Tod mitgedacht werden.
Haut und ErdhautSchwarz als Farbe I
David Sylvester, britischer Kunstkritiker.
Haut und ErdhautHaut, 1986
Haut und ErdhautSchwarz als Farbe II
Davon unterscheidet sich die Malweise von Peter Schnatz sehr: Seine Gemälde zeichnen sich durch den deutlich sichtbaren Pinselstrich aus, den pastosen Farbauftrag: „Am Anfang des Malprozesses steht bei Schnatz die lustvolle, passive Hingabe an die energetischen, informellen Malströme.“
Werner Marx in Haut, 1992.
Haut und ErdhautZerstörung und Wiederherstellung I
Haut und ErdhautZerstörung und Wiederherstellung II
Werner Marx, 1991
Selbstvergewisserung III
2000er JahreZählungen
Bei den „Zählungen“ sind farbige Tageskreuze auf schwarzer Leinwand aufgebracht – in unserem Beispiel die Daten von zwei Monaten – und gleichzeitig ausgelöscht, ausgestrichen, ausgeixt. Durch die leuchtenden Farben auf Schwarz scheinen sich gestalterisch Leben und Tod auszudrücken.